Von der Industriespree zur Mediaspree

Stadtspaziergang mit Angela Martin am 2. Dezember 2011

Bericht von Jürgen Karwelat

Der November 2011 war der regenärmste November seit Beginn der Aufzeichnungen der Wetterverhältnisse. Mit Beginn des Dezember schlug das Wetter um: Leider genau am Samstag, den 2. Dezember um 13.00 Uhr als sich am U-Bahnhof Schlesische Straße circa 30 Menschen versammelten, um an dem von der Berliner Geschichtswerkstatt organisierten Rundgang  teilzunehmen.

Angela Martin

Unter Führung von Angela Martin, Berliner Geschichtswerkstatt, haben wir uns bei unangenehmen Regen ca. zwei Stunden rund um Osthafen und Schlesische Straße bewegt, um das wohl interessanteste Konversionsgebiet Berlins zu sehen und Näheres darüber zu hören.

Kaum vorstellbar, dass hier, wo sich auf der Oberbaumbrücke heute Fahrzeuge an Fahrzeuge reihen,  die Spree einst durch eine Auenlandschaft floss. Im 19. Jahrhundert wurden  Holzplätze und Mühlen errichtet. Die Gegend blieb aber agrarisch geprägt. Wohlhabende Berliner hatten in der  Köpenicker Straße ihre Sommerhäuser, Gärtnereien und Baumschulen ihre Beete und Felder. Erst mit der Industrialisierung, vor allem in der Gründerzeit, wandelten sich die Ufer: Fabriken und Gewerbehöfe wurden gebaut, Arbeiterviertel entstanden, Fabrikschlote bestimmten nun die Silhouette.

Bei unserem Rundgang mussten wir feststellen, dass manches davon schon wieder verschwunden ist. Nahe der Oberbaumbrücke auf der Kreuzberger Seite lag einmal die große Textilfabrik Dannenberger. Heute ist Gras darüber gewachsen. Die großen Industrieanlagen, die in den 1880er Jahren auf der Friedrichshainer Seite der Spree gebaut worden waren, wurden in den 1970er Jahren abgerissen, als die DDR ihre Grenzanlagen perfektionierte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen viele Unternehmer West-Berlin. Durch die Spaltung der Stadt und den Mauerbau geriet das Gebiet südlich der Spree in eine Randlage. Künstler und Studenten fanden billigen Wohnraum in Fabriketagen und Gewerbebauten. Nach der Wende wurden sie durch solvente Unternehmen vor allem der IT- und Medienbranche vertrieben. Ein Beispiel, das wir uns auf unserem Rundgang angesehen haben, ist das Lagerhaus Nordost, das in der Pfuelstraße liegt. Auch internationale Projektentwickler haben die Wasserlage entdeckt – Es gibt hoch fliegende Pläne, den gesamten Bereich zwischen Osthafen und Jannowitzbrücke völlig neu zu bebauen. Dies rief vor einigen Jahren die Bürgerinitiative „Mediaspree versenken“ auf den Plan. Wir befinden uns mitten in diesem Umwälzungsprozess, der nicht zulasten der Kreuzberger und Friedrichshainer Bevölkerung vollzogen werden darf.

Der Wind pfiff an diesem Samstag Nachmittag besonders durch die gemauerten Bögen der Oberbaumbrücke, wenigstens waren wir damit aber vor dem feinen Regen sicher und konnten uns die Gebäude rund um den Osthafen anschauen. Der Rundgang endete in dem seit 1 ½ Jahren bestehenden „Rio Grande“, dem Lokal an der alten Doppelschiffsanlegestelle am May-Ayim-Ufer, dem früheren Gröbenufer. Für 5 Mio. Euro hat der Bezirk die alte Anlage renovieren lassen. Im Sommer ist in den Nebenräumen des Lokals eine Ausstellung zur Geschichte des näheren Umfelds zu sehen, finanziert vom Kreuzberg-Friedrichshain-Museum, gestaltet von Angela Martin. Geplant ist für die Zukunft auch eine Ausstellung, wie es dazu kam, dass die Uferstraße seit 2009 nach der deutschafrikanischen Schriftstellerin May Ayim benannt ist und nicht mehr nach dem preußischen General Otto Friedrich von der Groeben, dem Leiter der Westafrika-Expedition 1683, der dort die brandenburgische Kolonie Groß Friedrichsburg (heutiges Ghana) gründete. Sklavenhandel spielte dabei eine Rolle.

Auf der Oberbaumbrücke
Teilnehmer:innen mit Regenschirmen