„Aber das Leben ist groß, und ich weiß, dass vieles passieren kann, und ich bin froh, dass ich hier jetzt bin und dieses Interview machen kann. Dass ich überlebt habe, und dass es mir gut geht, und dass ich in der Lage bin, über meine Träume zu reden.“
Teuta L.
Biografische Daten
- 1980 in Tirana in Albanien geboren, drei Geschwister.
- Als Kind mit der Familie beteiligt am Sturm auf die deutsche Botschaft in Tirana 1990, von dort nach Deutschland gekommen.
- Schauspielstudium in Köln, später Umzug nach Berlin. Ledig. Freie Schauspielerin.
- Die Mutter, Café- und Kioskbesitzerin, lebt in Deutschland, der Vater in Albanien.
Interview
Überstürzter Aufbruch aus Tirana, Albanien
In bin in Tirana geboren. Wir flüchteten damals, 1990, in die deutsche Botschaft, sie war gestürmt worden. Zu Hause bekam ich mit: „Deutschland“. Da war ich zehn Jahre alt. Meine Mutter sagte „Nein“, mein Vater „Doch“. Ich wusste nicht, wohin es geht, aber Deutschland hörte sich nett an. In Tiranas Zentrum war Ausnahmezustand. Dann fingen die Soldaten zu schießen an und alle stürmten in die Botschaft. Wir waren mit dreitausend Albanern in dieser kleinen Botschaft, tagelang. Dann kam endlich die Erlaubnis; die Deutschen haben uns aufgenommen, sozusagen.
Die Familie wird getrennt
Diese Nacht werde ich nie vergessen, dies ist eines der emotionalsten Erlebnisse, die ich jemals hatte. Wir bekamen Pässe, damit wir mit den Bussen nach Durrës, von Durrës mit dem Schiff nach Italien und in Italien mit dem Zug weiter fahren. Die albanischen Mitarbeiter der Botschaft brachten die Pässe durcheinander; dadurch wurde die Familie auseinander gerissen. Auch kamen viele Busse nicht im Hafen an. Viele Leute wurden verprügelt oder erschossen, es war die Hölle los. Als wir am Hafen ankamen, ertönte das Signal, dass die Schiffe ablegen. Wir wussten nicht, wo meine Mutter ist. Wir gingen hinein; erst nach vier Monaten erfuhren wir, dass unsere Mutter und meine Schwester leben und in Deutschland sind. Diese erste Zeit mit meinem Vater und meinem Bruder war hart. Wir waren die einzigen von unserer Familie und hatten keinen Kontakt mit Albanien. Briefe, Handys, Facebook usw. gab es nicht. Einmal gingen wir zur Zentrale, um zu telefonieren.
Aufwachsen in Deutschland
Ich war trotzdem froh, dass ich hier war, in dem kleinen Ort, in dem wir gelandet sind. Ich spielte dann Volleyball, und die haben mich ziemlich schnell für die Nationalmannschaft vorgeschlagen. Ich hatte das Glück, akzentfrei deutsch zu sprechen, und dass ich irgendwie ‚under cover‘ lebte. Die Leute fragten: „Teuta, ist das ein norddeutscher Name?“ Und ich: „Ja ja“. Später merkte meine beste Freundin das: „Teuta P., woher kommt das?“ Und ich: „Albanien“. Da fing ich an, mich damit auseinander zu setzen. Am Anfang wollte ich das alles irgendwie verdrängen.
Die Schwierigkeiten der Eltern
Wir sprachen anfangs kein Deutsch. Für uns Kinder war es einfacher, in der Schule und im Sportverein. Mein Vater war arbeitslos; er hatte die größten Probleme sich einzuordnen, auch wenn er Arbeit hatte. Die Mutter kapierte schnell, dass sie diejenige ist, die uns durchziehen muss. Sie hatte in Albanien Betriebswirtschaft studiert, aber das war uninteressant hier, denn sie konnte nicht deutsch sprechen; deswegen fing sie in der Gastronomie an. Jetzt besitzt sie ein Café und einen Kiosk, sie ist in Deutschland geblieben. Die Ehe der beiden war katastrophal, wir haben darunter gelitten. Es gab auch Gewalt. Zum Glück ging mein Vater irgendwann weg, er lebt jetzt in Albanien. Aber er nahm sämtliches Geld meiner Mutter mit, und sie fing wieder von Null an.
Auf jeden Fall hat meine Mutter, die ihr Leben lang geschlagen wurde, trotzdem ihren Weg gemacht. Das haben wir drei Mädels alle. Mein Bruder kommt nicht so gut zurecht, er ist mehr in Albanien, obwohl er hier eine Familie hat. Es ist deutlich zu sehen, dass die männlichen Familienmitglieder irgendwie nicht so zurechtkommen mit der Mentalität.
Leben als Künstlerin in Berlin – Heimat?
Nach dem Studium spielte ich in Köln Theater und drehte für das Fernsehen. Wegen eines Films für das ZDF kam ich nach Berlin – und blieb. In Berlin hat jeder Platz, irgendetwas zu machen, schlecht oder gut oder anders, oder wie auch immer. Und diese ganze Atmosphäre mit meinen Kollegen: Homosexuellen, Heterosexuellen, Türken, Albanern, ich weiß nicht, woher die alle kommen. Diese ganze Stimmung liebe ich.
Ich hoffe, dass es weiter geht mit meinem Erfolg, damit meine Mutter versteht, dass ich auch so glücklich bin. Wenn die Gastarbeiter-Kinder zwei Häuser gekauft haben, kann man das Ergebnis sehen; aber in der Kunst ist es schwierig. Ich kann sagen, das habe ich gemacht und das, aber ich habe manchmal nicht das Geld, um die Miete zu zahlen. Dann gehe ich halt etwas Anderes arbeiten. Ich bin zufrieden.
Ich hatte all die Jahre keinen Kontakt zu Albanern, bis ich während der Berlinale Künstler und Schauspieler aus Albanien traf. Mit diesem Tabuthema – der Vater wieder zurück in Albanien – ist es ja auch immer eine Hassliebe zu diesem Land. Man muss, glaube ich, ein Leben lang daran arbeiten. Ich habe schon so das Gefühl, dass ich ein wenig heimatlos bin.
Der Zweite Weltkrieg
Ich habe es bis jetzt verpasst, meine Großeltern zu fragen. Ich weiß so wenig über meine Familie oder über die Hintergründe. Man redet bei uns nicht so gern über Gefühle, oder was passiert ist, oder warum das passiert ist. Manchmal erzählt die Großmutter etwas, z.B. dass, als die Italiener im Zweiten Weltkrieg in Albanien waren, das die schönste Zeit war. Die Deutschen waren ein bisschen härter, aber die Italiener brachten die Mode mit und Schuhe und schöne Kleider.
Kindheit in der Diktatur
Als Kind kenne ich Albanien, als Enver Hoxha noch lebte, der der Führer war. Die Schulzeit war grauenhaft, wir liefen in Uniform herum und mussten uns eine halbe Stunde aufstellen auf dem Schulhof, und jedes Mal war da ein Foto von Hoxha. So ein bisschen DDR, nur zehnmal härter. Wir waren kleine Soldaten. Die eigene Meinung hat nie gezählt, wir mussten nur auswendig lernen, diese ganzen Lieder über die albanische Flagge und bla bla bla. Wir sind dann aus politischen Gründen geflohen. Da wurden Leute interniert für solche Sätze: „Mensch, es gibt kein Brot mehr.“ Das hatte mit Freiheit nichts zu tun. Zu Hause war es auch nicht schön bei uns. „Glückliche Kindheit“ – kann ich nicht sagen; aber ich habe es akzeptiert, wie es ist.
Wünsche und Zukunftspläne
Ich wünschte dem albanischem Volk und den Albanern, ein bisschen offener durch die Welt zu gehen. Sie haben Eigenschaften, die wunderbar sind, aber ein wenig toleranter könnten sie werden.
Mein Wunsch für mich ist, dass ich nächstes Jahr mehr Theater spiele und auch drehe. Ob in Berlin oder woanders, ist mir erst mal egal. Die große Bühne war schon immer mein Traum. Aber das Leben ist groß, und ich weiß, dass vieles passieren kann, und ich bin froh, dass ich hier jetzt bin und dieses Interview machen kann. Dass ich überlebt habe, und dass es mir gut geht, und dass ich in der Lage bin, über meine Träume zu reden. Deswegen bin ich guter Dinge, und falls ich noch größer werden sollte, ich meine menschlich, freue ich mich natürlich sehr.